Statement zur Gewaltausübung durch ein Leftvision-Kollektivmitglied

+++ Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt! +++

Statement zur Gewaltausübung durch ein Leftvision-Kollektivmitglied

Anfang 2021 wurden wir von einer Kritische-Männlichkeits-Gruppe kontaktiert und darüber informiert, dass ein Mitglied unseres Kollektivs in mehreren Fällen Gewalt ausgeübt hat. Die Betroffenen sind nicht Teil unseres Kollektivs. Durch den Austausch mit der Gruppe, die die Kommunikation für die Betroffenen übernommen hat, wissen wir, dass es sich um „körperliche Gewalt, Übergriffigkeit und sexuelle Gewalt“ handelt.

Diese Nachricht hat in unserem Kollektiv unterschiedlichste Gefühle und Reaktionen ausgelöst: Enttäuschung über das Verhalten eines langjährigen Kollektivmitglieds und Freundes, Schock für einige, die es in unserem Kollektiv nicht für möglich gehalten hätten, aber auch Wut und Ohnmacht gegenüber dem sexistischen Normalzustand, der sich auch durch die linke Szene zieht.

Zu keiner Zeit zweifelten wir an den Vorwürfen gegen die gewaltausübende Person (gaP).
Dennoch war es uns wichtig, die gaP nicht „einfach nur“ auszuschließen und die damit verbundenen Probleme zu verlagern. Um unserem eigenen politischen Anspruch gerecht zu werden, wollten wir uns mit der gaP, ihren Taten und unserer Rolle als politischer Struktur, die mit ihr verbunden ist, auseinandersetzen und dabei Ansätzen wie community accountability oder transformative justice nachgehen.

Seit Anfang 2021 befinden wir uns in einem Prozess mit vielen intensiven Treffen, für den wir in den Austausch mit anderen Kollektiven gegangen sind und uns externe Beratung suchten.
Trotz dieser Schritte haben wir uns dazu entschieden, die gaP aus unserem Kollektiv bis auf Weiteres auszuschließen, da sie den Forderungen der Betroffenen nach Transparenz und Verantwortungsübernahme nicht genügend und vor allem nicht glaubhaft nachgegangen ist.

Der Prozess ist für uns damit dennoch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Die Vorfälle von sexualisierter Gewalt in unserem unmittelbaren Umfeld fordern eine tiefe und längst überfällige Auseinandersetzung mit den eigenen Sexismen und Machtstrukturen innerhalb des Kollektivs.

Rückblickend stellen wir fest, wie viel Energie wir auf den Umgang mit der gaP verwendet haben, während wir die Betroffenen nicht direkt unterstützen konnten. Wir respektieren und verstehen den Wunsch der Betroffenen nach keinem persönlichen Austausch. Unsere eigene Fokussierung auf die gaP sehen wir dennoch kritisch. Was wir als Kollektiv leisten können und wollen, ist Methoden zu erlernen, die uns helfen, Sexismen und Machtmissbrauch zukünftig früher zu erkennen und ihnen aktiv entgegenzuwirken. Auch hierfür holen wir uns externe Unterstützung.​​​​​​​

Vorfälle sexualisierter Gewalt bekommen immer mehr Sichtbarkeit. Safer spaces, die wir frei von solchen Übergriffen hofften, sind davon nicht minder betroffen. Als linkes Medienkollektiv ist es Teil unseres Selbstverständnisses, emanzipatorische und feministische Perspektiven aufzuzeigen und zu stärken und damit einen Gegenpol zur sexistischen Berichterstattung zu schaffen.

Wir können und wollen diesen Vorfall in den eigenen Reihen nicht dulden.

Sexualisierte Gewalt ist auch innerhalb der linken Szene kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem. Wir brauchen Reflexion, Strategien, Vernetzung und aktive Solidarität, um dem Status quo entgegenzutreten. Als Kollektiv haben wir diese Ziele noch längst nicht erreicht, aber wir wollen mit diesem Statement dazu beitragen, dass der Diskurs um das Thema öffentlich geführt wird und wir als linke Szene den Handlungsbedarf erkennen und aktiv werden.

Falls ihr Fragen oder Feedback habt oder wir euch mit detaillierteren Erfahrungsberichten bei Prozessen in euren Gruppen helfen können, meldet euch unter info@leftvision.de bei uns.

Berlin, 31.01.2022